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01.02.2016

Wildes Wasser, grüner Wald - Packrafting Rio Tuichi 2

Als ich am Morgen in die gestern erkundete Stromschnelle fahre, ahne ich noch nichts Böses, bin aber blöderweise auch noch nicht voll konzentriert. Zunächst bewältige ich die Wellen wie erwartet ohne Probleme. Dann wartet eine scharfe Rechtskurve auf mich. Ich gerate etwas zu weit nach außen und will noch korrigieren, da nehme ich den abgebrochenen Palmenstumpf wahr, der in die Strömung ragt. Oh nein! Zu spät, es gibt keine Möglichkeit mehr daran vorbei zu kommen und hoffe bloß, dass mir der scharfe Stumpf nicht das Boot aufschlitzt. Dann pralle ich auch schon mit voller Breitseite auf das Hindernis. Wie in Zeitlupe ergreift die Strömung die Wulst des Packrafts und wirft das kleine Boot um. Ich lasse das Paddel los, schaffe es aber das Boot zu halten und mich gleichzeitig an dem Palmenstumpf festzuklammern. Voller Adrenalin gelingt mir das artistische Kunststück auf den Stumpf zu klettern und das Boot aus dem Strom in das kleine Kehrwasser hinter der Palme zu bugsieren. Mit äußerster Kraftaufwendung schaffe ich es dann sogar, das Packraft inklusive Gepäck wieder umzudrehen. Allerdings sind meine Probleme damit noch keineswegs gelöst...Ich habe kein Paddel mehr und die Strömung schießt nur zwei Meter von mir entfernt in einen mächtigen Baumverhau, der hier in der Kurve von einem Hochwasser aufgetürmt wurde. Mir ist klar, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass, wenn ich meine vorläufig sichere Palme verlasse, in den Verhau gespült werde und dort wenn ich nicht viel Glück habe trotz Schwimmweste von der Strömung mit eiserner Faust festgeklemmt werde und jämmerlich ertrinke...

Bestimmt zwanzig Minuten bleibe ich wie gelähmt auf meinem Baumstumpf sitzen und versuche ohne von Panik erfasst zu werden meine Optionen durchzugehen. Diese sind aber äußerst beschränkt, zusätzlich muss ich unheimlich darauf acht geben, dass mein Boot nicht zurück in die Strömung gedreht wird. Schließlich fälle ich eine Entscheidung: Wie Wellen am Meer kommt auch hier das Wasser nicht ganz gleichmäßig. In einem "Niedrigwassermoment" werfe ich mich und das Boot so in den Strom, dass ich nach meiner Kalkulation gerade so am Verhau vorbei treiben kann, was ich durch heftiges Kraulen mit meinen Armen unterstütze. Es ist kaum zu glauben, dass Manöver funktioniert und ich kann unbeschadet direkt hinter den angespülten Bäumen ans Ufer gelangen. Allerdings fehlt mir immer noch mein Paddel... Dagegen sehe ich, wie mein Blasesack unrettbar an einem Ast in der Strömung festhängt. Nun, das Paddel kann eigentlich nicht untergehen und dürfte auch nicht weit weggeschwemmt sein. Der wahrscheinlichste Ort wo es sich befindet, ist der Verhau, der mir Gott sei Dank erspart geblieben ist. Über die glatten Stämme balanciere ich also von der Landseite Richtung Fluss, in der Hoffnung mein Paddel irgendwo zu erspähen. Aber so intensiv ich auch schaue, ich kann das wichtige Utensil nirgendwo sehen. Fast will ich schon aufgeben, als ich etwas Unterwasser wahrnehme: Es ist tatsächlich mein Paddel, dass dort zwischen dem Holz festgeklemmt ist. Und es ist kaum zu glauben, ich bekomme es mit dem Bauch auf einem Baumstamm hängend kopfunter tatsächlich zu fassen und kann es unbeschadet bergen!
Zurück beim Boot gilt die nächste Sorge meiner Elektronik, vor allem dem Fotoapparat. Glücklicherweise ist alles trocken, der Sack in dem ich die Sachen aufbewahre, hat dicht gehalten!
Obwohl mir die Beine nach dem überstandenen Schrecken noch leicht zittern, setze ich mich gleich wieder ins Boot und fahre weiter. 
Allerdings wird der Fluss jetzt immer schwieriger und einige der Stromschnellen erreichen sicher den vierten Grad. Manchmal wird der Fluss von riesigen Felsen blockiert, an denen sich die Wellen mit großer Gewalt brechen. Hier will man nicht reinfahren...
Nach ein paar weiteren, haarigen Situationen, habe ich genug. Es ist zwar schön und gut auch mal seine Komfortzone zu verlassen, aber mittlerweile fühle ich, dass ich diese hier nicht um ein paar Meter, sondern viele Kilometer erweitert habe. Trotz viel Vorsicht ist mir der Fluss einfach zu schwierig und gefährlich. Das liegt natürlich auch an dem Erlebnis der Kenterung heute morgen. Durch meine GPS- Punkte und Google Earth Karten weiß ich, dass es noch ungefähr 11 Kilometer Luftlinie bis zu dem Punkt sind, an dem der Tuichi ins Flachland gelangt und dann sicher auch deutlich ruhiger wird. Diese relativ kurze Distanz sollte ich doch wohl auch zu Fuß schaffen!
Zunächst packe ich meinen Rucksack aus und lasse alles trocknen. In einige der eigentlich dichten Gefrierbeutel, in denen ich meine Verpflegung portioniert habe, ist Wasser gelangt. Ich hoffe nur, dass  mir unter diesen Umständen mein Essen nicht zu schnell vergammelt...
Dann packe ich alle meine Sachen inklusive Rucksack und Paddel in den Rucksack und mache mich daran, aus dem San Pedro Canyon heraus zu klettern.

                                         Ich will den Canyon zu Fuß verlassen

Nachdem ich eine Portion Macadamianüsse gegessen und Wasser getrunken habe, gehe ich los. 
Zunächst komme ich recht gut voran, aber schon nach kurzer Zeit kann von Laufen keine Rede mehr sein. Meter für Meter ziehe ich mich unter zu Hilfenahme der Hände nach oben. Mir scheint jeder dritte Baum hier ist von Stacheln und Dornen übersät. Man muss also schon ziemlich genau darauf achten, wo man hingreift. Mein Rucksack wiegt bestimmt noch über 25 Kilogramm und hängt wie die Stahlkugel eines Häftlings an mir. Kaum habe ich wieder ein paar Meter geschafft, bin ich völlig ausgepumpt und brauche eine längere Pause. Dieser Anstieg ist das Härteste, was ich seit langem gemacht habe! Nach zwei Stunden bin ich noch nicht sehr weit gekommen und mache das Vernünftigste, was ich in dieser Situation tun kann. Ich gebe auf, und trete den Rückweg an. Leider habe ich aus Gewichtsersparnisgründen keine Machete dabei, daher hacke ich mit meinem Messer mir abschnittweise einen Pfad frei und hole dann meinen Rucksack nach. Ich benutze eine andere Route als für den Aufstieg, aber auch hier gelange ich an steile Rinnen, die ein Klettern notwendig machen. Einmal rutsche ich auf dem Hosenboden mehrere Meter nach unten. Dabei reisse ich mir die Hose so weit auf, dass ich ab jetzt "viel Haut zeige". Glücklicherweise sind ja  keine Leute in der Nähe, vor denen mir mein Aufzug peinlich wäre...
Irgendwann bin ich wieder unten, völlig fertig und zu kaum noch etwas anderem fähig, als mein Lager aufzubauen.
Ich werde den Tuichi weiter befahren, dabei aber äußerst vorsichtig sein...



      Nach dem gescheiterten Versuch, die Schlucht zu verlassen









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